Illustration von 4 Menschen, genervt von Desksharing

Welche Probleme bringt hybrides Arbeiten? Über Clean-Desk-Policy und Ineffizienz am Arbeitsplatz.

Desk Sharing ist blöd!

Stellen Sie sich vor, Ihr Kind hat Kindergeburtstag. 10 Kinder wollen beschäftigt werden. Also holen sie 9 Stühle und einen CD-Player und spielen Stuhlpolonaise. Um diesem Spiel, dass schon die Römer als Zeitvertreib nutzten, neuen Pepp zu verleihen, teilen Sie die Kinder mit farbigen Bändchen am Arm in zwei Gruppen. Wenn die Musik aus geht, dürfen sich nur die Kinder mit dem roten Bändchen sofort einen Platz suchen – die mit den blauen müssen erst bis drei zählen, bevor sie sich setzen dürfen.
Was denken Sie, wie wirkt sich diese Änderung der Spielregeln wohl auf die Stimmung der Blaubändchen-Kinder aus?

Aus Spaß wird Ernst.

Als der ADAC in München die neue Zentrale für seine 2.000 Mitarbeiter baute, analysierte man, dass stets mindestens 10 % der Belegschaft im Urlaub, krank oder auf Fortbildung sind. Also baute man – und das spart in der Tat immense Summen Geld – das Gebäude mit nur 1.800 Schreibtischen. Da man sich ausserstande sah, vorherzusagen, wer wann da ist oder nicht, wurden einfach alle Schreibtische zu Freiwild erklärt – nun muss sich jeder morgens einen Platz suchen.
Das nennt man Desksharing oder „flexible Arbeitsplatzgestaltung” und – um gegenüber dem ADAC fair zu bleiben – die haben den Blödsinn nicht erfunden.

Frustration – gewollt?

Wenn man sich nun eine Belegschaft wie die des ADAC genauer anschaut, so setzt die sich aus ganz unterschiedlichen Menschen zusammen. Da gibt es den bereits morgens fröhlichen Kollegen Müller, dessen Ehefrau die Kinder versorgt und der daher stets so früh da ist, dass er [rotes Band] eigentlich immer auf demselben Platz sitzt. Und die morgenmufflige Frau Meyer, alleinerziehend mit zwei Kindern, die ihre Kinder morgens noch im Stadtgebiet verteilen muss [blaues Band] und die daher nie, nie die Chance hat, einen der ruhigen Plätze am Fenster zu ergattern.

Diskriminierung – beabsichtigt?

Chronotypisch: Dass es verschiedene Chronotypen gibt, wissen die Biologen erst seit wenigen Jahren. Die sogenannten “Lerchen” sind frühaktiv und werden am Abend rasch müde. „Eulen“ hingegen gehen erst spät ins Bett und kommen am nächsten Tag nur schwer aus den Federn.
Die Lerchen haben aufgrund der Tatsache, dass ihr (genetisch veranlagter!) innerer Zeitgeber sie morgens schon um 7 Uhr topfit sein läßt, einen klaren evolutionärer Vorteil beim morgendlichen Kampf um den besten Arbeitsplatz.
Gendertypisch: Der Anteil alleinerziehender Männer ist – in München genau wie woanders – verschwindend gering. In neun von zehn Fällen ist der allein erziehende Elternteil die Mutter.

Das heisst: Desksharing benachteiligt eine genetisch und sozial klar umrissene Gruppe von Menschen in eklatanter Weise in ihrem Recht auf Gleichberechtigung. Am stärksten betroffen sind Frauen mit mehreren Kindern, die morgens erst ab 11 Uhr und nach dem dritten Kaffee in der Lage sind, das erste Mal richtig zu lächeln.

Rosa Parks – eine schwarze Hausangestellte – löste 1955 in den USA einen Sturm der Rassenunruhen aus, weil sie sich im Bus weigerte, ihren Platz einem Weißen zu überlassen. Ohne sie wäre Martin Luther King nicht bekannt geworden. Aber wer steht für all die Mütter ein, die ihren Platz jeden Morgen grinsenden Herrn Müllers überlassen müssen? Und dann Tag für Tag gedemütigt am Gang sitzen?

Ineffizienz – vorprogrammiert?

Der amerikanische Psychologe Bruce Tuckman entwickelte 1965 das Phasemodell der Teamentwicklung, welches noch heute in der Personalentwicklung eingesetzt wird. Tuckman fand heraus, das sich Gruppen durch die Phasen des sich Kennenlernens [forming], des sich Reibens [storming] und des sich auf gemeinsame Regeln Ringens [norming] gehen müssen, bevor sie überhaupt in der Lage sind, effzient miteinander zu arbeiten [performing]. Das Modell läßt sich nicht nur auf direkte Teams, sondern auch auf Abteilungen und ganze Belegschaften anwenden – es braucht selbst beim Hinzukommen neuer Mitarbeiter immer eine Weile, bis nach der von Tuckman beschriebenen Findungsphase alle wieder reibungslos “performen”.

In der Regel sitzen dann Kollegen, die gut miteinander können beieinander, die, die Ruhe brauchen in der Ecke, die, die soziale Schnittstelle sind und sich auch um die emotionalen Belange Ihrer Mitarbeiter kümmern, irgendwo in der Mitte. So ein Miteinander im Büro besteht eben neben der Tatsache, dass ein Haufen Menschen auf Stühlen und an Tischen sitzen noch aus einem sehr feinen [und eben für Arbeitsplatzforscher auf den ersten Blick unsichtbaren] Beziehungsgeflecht, dass essentiell ist für das emotionale Wohlbefinden – und damit der Motor des effizienten Arbeitens jedes Einzelnen ist.

Zufällige Zerstörung

Desksharing zerstört diese Beziehungsgeflecht jeden Morgen aufs Neue. Wie bei Sisyphos müssen sich diejenigen, die sich – mehr durch Zufall, denn geplant – morgens zusammenfinden, immer wieder vom Anfang an durch Tuckmans Phasenmodell kämpfen. Und wie der arme Sisyphos, der es nie erlebte, den Stein auf dem Gipfel des Berges abzusetzen, so erreichen Belegschaften, die sich an die Clean-Desk-Policy ihres Unternehmens halten niemals; niemals den Performingmodus. Die Idee des „Schreibtisch-Wechsel-Dich” ist also nicht nur ungerecht, sondern auch eine – wissenschaftlich gestützte – Methode, um Wohlbefinden, Produktivität und damit Geld zu vernichten.
Gratulation!