Wie viele Köche verderben den Brei?
„Ungelogen! Ich arbeite seit zwei Jahren hier. Mit der Frau habe ich noch nie ein einziges Wort gewechselt.“ Sybille gibt mir eine Besichtigungstour durch eine Firma mit lediglich 120 Mitarbeitern, als wir besagter Kollegin begegnen. Wie kann es sein, dass man sich da nicht kennt?
Gibt es in Ihrer Firma ein Silodenken? Würden Sie sich wünschen, dass Ihre Mitarbeiter mehr miteinander machen? War das Gruppengefühl früher stärker? Wenn ja, wie viele Leute waren Sie da? Haben Sie sich mal überlegt, ob es eine imaginäre Zahl gibt, bei der Abteilungen zu groß, Projektgruppen nicht mehr leistungsfähig, Meetings stinklangweilig werden?
Robert Dunbar, ein britischer Anthropo- und Primatologe hat seine Arbeit dieser Frage gewidmet und festgestellt: es gibt einen Zusammenhang zwischen der Größe unseres Gehirns und der Anzahl der Freunde, Kollegen und Mitarbeiter, mit denen wir maximal interagieren können. Selbst wenn die Digitalisierung es uns erlaubt, auf LinkedIn, Facebook oder Xing tausende von „Freunden“ zu haben, die Maximalanzahl wirklich pflegebarer sozialer Beziehungen liegt bei 150 Menschen. Und diese Zahl erhöhte sich seit der Steinzeit auch nur um 10 bis 15 Prozent.
Was Dunbar außerdem herausfand, sagt uns vielleicht noch mehr für die tatsächliche Leistungsfähigkeit verschiedener Teamstärken. Das Geflecht unserer sozialen Beziehungen teile sich nämlich in konzentrische Kreise mit ungefähren numerischen Sprungstellen bei 3 – 5 – 15 – 50 – 150 Menschen auf. Diese finden sich in typischen gesellschaftlichen Gruppierungen wieder.
Monogame Liebesbeziehungen oder auch zwei beste Freunde bilden eine Dyade. Aber erst dann, wenn ein Dritter hinzukommt, handelt es sich um eine soziale Gruppe. Im Übergang von der intimen Zweisamkeit zum Zwist mit dem lachenden Dritten werden Systeme komplizierter; nicht nur bei der ménage à trois. In der Geometrie gilt das Dreiecke als kleinste und stabilste Einheit; in der frühkindlichen Erziehung ist die Triangulierung (Vater, Mutter, Kind) notwendig für eine gute soziale Entwicklung des Kindes, die den Ödipuskonflikt (Mutter, Kind) auflöst.
Im Büro sind Einzelschreibtische optimal für die Konzentration, während der Doppeltisch laut einer Studie des Fraunhofer Institutes die ineffizienteste Tischform überhaupt ist: zu klein für eine Gruppenarbeit, wohl aber groß genug für grandiose Zweisamkeit mit dem liebsten Kollegen; fürs Sozialgefüge also ebenso gut wie schlecht für die Effektivität.
Da 80 % sämtlicher Kommunikation im Büro zwischen nur 3 bis 4 Menschen stattfindet, wünschen sich Mitarbeiter kleine Meetingpoints mit Sofas für bis zu 4 Personen oft am meisten, doch gerade diese fehlen in so ziemlich jeder Bürostruktur.
Männer haben statistisch 4 beste Kumpels – Frauen 6 beste Freundinnen. Was sagte das doch gleich über die Hirnkapazität aus? Fest steht, dass Teams, Cliquen oder Peergroups mit maximal 7 Leuten noch eine hohe emotionale Bindung – und damit eine vor allem intuitive Interaktion ermöglichen. Sportarten wie Basketball mit 5-, Eishockey mit 6- und Handball mit 7 Mitspielern zeichnen sich durch ein extrem schnelles Abspiel aus. Die Spieler müssen im Bruchteil einer Sekunde aufeinander reagieren. Wer hier denkt, der verliert.
Im Büro sind 6er Teamtische insbesondere bei Entwicklerteams unschlagbar beliebt. Meetings werden ab 7 Teilnehmern ineffizient lang, da sie mit jeder dazukommenden Person formaler, weniger intuitiv und damit immer kaugummiartiger werden.
Als wir noch in Stämmen durch die Steppe zogen, teilten sich die Gruppen ab ca. 12 -16 Menschen auf. Wenn man bedroht wurde und schnell vor Feuer, dem Säbelzahntiger oder feindlichen Sippen fliehen musste, merkte man intuitiv, ob die Gruppe noch vollständig war. Ab 16 und mehr Gruppenmitgliedern hätte man wohl abzählen müssen; wie der Lehrer auf Klassenfahrt; konnte man aber noch nicht.
American Football, Cricket und Fußball werden mit je 11 Spielern strategischer und weniger schnell als z.B. Basketball gespielt. Die Mannschaft teilt sich bereits in Unterformationen mit klaren Rollen wie z.B. Sturm und Verteidigung auf, aber die intuitive Interaktion unter den Spielern ist nach wie vor gegeben. Wir haben mit 12 Personen die optimale Größe für Forschungsteams, religiöse Zirkel, Weisenräte oder eine Gruppe Geschworener.
Meetings ab 15 Leuten werden aber völlig ineffektiv. Es beteiligen sich nicht mehr alle an der Diskussion, das Wegnicken Einzelner wird wahrscheinlicher und klare Kommunikationsregeln unabdingbar. Teams mit deutlich mehr Personen bieten aufgrund fehlender sozialer Kontrolle bereits genug Schutz für die ersten asozialen Individuen, die die leere Klorolle nicht wechseln und den vollen Kaffeesatzbehälter oder Geschirrspüler nicht leeren.
In Deutschland sprechen Arbeitnehmer bei einem Büroraum für bis zu 16 Mitarbeiter von einem Team und darüber hinaus von einem Großraumbüro. Eigentlich müsste es Zu-groß-Raum-Büro heißen. Man geht auf die Barrikaden; angeblich weil es zu laut wird, in Wirklichkeit aber, weil es zu viele werden und eine innere Grenze damit überschritten ist.
In der Steinzeit versammelten sich bis zu 50 Menschen in Nachtlagern. Die Gruppe war groß genug, um sich zu verteidigen, ohne fliehen zu müssen und um Aufgaben anhand fester Rollen gut aufteilen zu können. Die Grenze der Anonymität ist bei dieser Zahl noch nicht erreicht, man kennt und vertraut sich, weiß von den Stärken und Schwächen des anderen, hat schnell sämtliche Konstellationen durchprobiert und damit leistungsfähige Substrukturen herausgebildet.
Die für den Zusammenhalt des Systems wichtige Gruppenkohäsion kommt aber nicht mehr von allein. Ohne das gemeinsame Lagerfeuer; notfalls in Form des Kaffeeautomaten, Touchdowns oder Social Hubs; kochte wohl jedes Grüppchen sein eigenes Süppchen. Das Zusammenspiel des Symphonie-Orchesters (25-100 Musiker) braucht die Regel der Partitur und Kontrolle des Dirigenten. Improvisation funktioniert hier nicht mehr.
Neben gemeinsamen Orten und Regeln wird die Kultur und damit die Beziehungspflege wichtig: Wertschätzung, Streitkultur und Vergebungsrituale finden sich ein. Ohne das sinnbildliche „Sich-Lausen“ fällt das Rudel auseinander. Machtkämpfe, Fehden und das Kräftemessen rivalisierender Gruppen müssen kanalisiert werden, wenn nicht der gemeinsame Feind oder ein höherer ethischer Wert „die Welt im Innersten zusammenhält“.
Die Empathie zum Nächsten lässt ab über 50 Menschen deutlich nach und man macht sich von den wenig oder gar nicht bekannten Teammitgliedern sein eigenes Bild, auch schon mal ohne je ein Wort gewechselt zu haben.
Ob Dörfer der Steinzeit, Kompanien des römischen Heeres oder Gemeinden der Amish, überall finden sich Gruppierungen von zwischen 120 und 160 Menschen; danach setzt die Teilung ein. Ab größeren Gruppenstärken redet man nicht mehr von sozialen Gruppen, sondern aufgrund der begrenzten nötigen informellen Interaktion von Organisationen.
Auch in der heutigen Zeit taucht die Zahl in Zusammenhang mit Teamgrößen häufiger auf. So hat zum Beispiel die Firma Goretex die Anzahl der Mitarbeiter/innen eines Werkes auf exakt 150 beschränkt, da die familiäre Kultur nach Vorstellung des Gründers danach wegbräche. Die schwedische Steuerbehörde strukturiert sich nach demselben Prinzip.
Die Dunbarzahl wird oft überstrapaziert; er hat nie von einer wirklichen Grenze gesprochen, wohl aber davon, dass ab dieser Gruppenstärke bei Primaten der Anteil an Grooming- oder Fellpflegezeit deutlich ansteigt.
Für Ihr Büro übersetzt: wenn Ihre Belegschaft bei allem Erfolg und wirtschaftlichen Wachstum auf mehr als 150 Mitarbeiter anwächst, müssen Sie zwar nicht gleich einen zweiten Standort gründen, wohl aber benötigen Sie ein größeres Mitarbeiterrestaurant, mehr Kuschelecken, genug Platz für die Vollversammlung und eine kreative Personalabteilung, die genug Social Evenings, Weihnachtsfeiern oder Drachenbootrennen organisiert, um den Affenhügel im Inneren fest zusammenzuhalten.